Der Aufbau eines starken Wir-Gefühls im Unternehmen ist wichtiger als jemals zuvor. Denn je größer der Digitalisierungsgrad, desto mehr Aufmerksamkeit braucht der Mensch. Zudem müssen sich die Unternehmen bereichsübergreifend vernetzen. Ein interner Touchpoint Manager kann dies unterstützen.
Seitdem wir Menschen die Welt erobern, dreht sich bei uns alles um das Leben in einem Verbund. Die Akzeptanz einer Gemeinschaft ist für uns fundamental. Ausgestoßen zu sein – auch durch Mobbing – ist das Schlimmste, was uns passieren kann. Die unglücklichsten Menschen sind diejenigen, von denen niemand etwas will, die nicht gefragt sind und nicht gebraucht werden.
Wer sich zurückgelassen fühlt oder den Anschluss verpasst, gerät schnell in die Panikzone. Denn den Letzten beißen die Hunde. Hingegen gibt es uns Sicherheit und Geborgenheit, ein geachtetes Mitglied einer Gruppe zu sein. Früher hing unser Leben davon ab. Die Chance, ohne den Schutz einer Gruppe zu überleben, war äußerst gering.
Dieses Phänomen ist noch immer in unseren Genen verankert – und es wirkt auch im Arbeitsleben. So haben Ausgrenzung und Isolation katastrophale Folgen. Beides macht uns aggressiv – oder depressiv. Es führt zu einem Absenken des Gelassenheitshormons Serotonin und schließlich zu einem Kollaps zerebraler Funktionen.
Wer sich angenommen und wohl fühlt, stärkt das System
Verbundenheit ist also überaus wichtig. Sie entsteht durch Zuneigung und gemeinsames Handeln. Begleitet werden diese Prozesse durch einen körpereigenen Botenstoff namens Oxytocin. Das auch gerne Kuschelhormon genannte Oxytocin erhöht unser Glücks- und Genusspotenzial. Es ist neurochemischer Balsam für unsere Seele.
Es wirkt entspannend und gesundheitsfördernd. Es wird immer dann verstärkt ausgeschüttet, wenn es zu einer Begegnung kommt, die feste Bindungen einleiten soll. Es erhöht unter anderem auch die Bereitschaft, Vertrauen zu schenken. Gleichzeitig stabilisiert es Beziehungen, die zu seiner Ausschüttung geführt haben. Es belohnt positive soziale Kontakte und verstärkt das Wohlbefinden.
Laut einer Studie der University of Warwick sind glückliche Mitarbeiter um 12 Prozent produktiver. Ein Wir-Gefühl zu entwickeln bringt also mehr als das Heroisieren von Einzelerfolgen. Durch Letzteres gewinnen zwar einige wenige, doch ein Großteil der Mitspieler wird zu Verlierern gemacht. Und Verlierer schwächen das gesamte System.
Das „Community Game“: besser als das „Wall Street Game“
Menschen sind soziale Wesen und damit eben nicht primär auf Egoismus und Konkurrenz ausgerichtet, sondern auf Zuwendung und gelingende zwischenmenschliche Beziehungen. Dabei ist das Umfeld entscheidend. Hierzu führte, wie der Harvard Business Manager in seiner Ausgabe 10/2011 berichtet, der Sozialpsychologe Lee Ross von der Stanford University ein Experiment mit zwei gleich zusammengesetzten Gruppen durch. Der einen Gruppe erklärte er, sie spielten das „Community Game“, ein auf Gemeinnutz ausgelegtes Spiel.
Der anderen Gruppe wurde gesagt, sie spielten das „Wall Street Game“, in dem Egoismus belohnt wird. In Wahrheit handelte es sich um das gleiche Spiel, nur mit verschiedenen Namen. Im Community Game spielten von Anfang bis Ende siebzig Prozent aller Teilnehmer kooperativ. Im Wall Street Game hingegen arbeiteten siebzig Prozent aller Spieler nicht zusammen. Da stellt sich die berechtigte Frage: Wie nennen Sie Ihr Unternehmensspiel?
In konkurrenziellen Situationen entstehen Missgunst und Neid. Boshaftigkeiten und Intrigen stellen sich ein. Selbst die Firma als Ganzes wird Federn lassen. Wer nämlich gegeneinander spielt, wird im entscheidenden Moment dem Kontrahenten die Hilfe versagen. Produktivitätseinbrüche auf breiter Ebene sind dann die Folge. Zudem verschlechtert sich die Arbeitgeber-Reputation, Recruiting-Probleme stellen sich ein.
Fünf Aspekte: Die Zutatenliste für ein perfektes Wir-Gefühl
Menschen wollen stolz sein können auf die Kohorte, für die sie sich entschieden haben. Denn dann springt ein wenig von deren Glanz auch auf einen selbst über. Erfolgreiche Unternehmen bieten also nicht nur Entfaltungsspielraum, sondern auch Identifikationspotenzial. Die Zutaten für ein perfektes Wir-Gefühl? Hier sind sie:
- Erfolge, die gefeiert werden,
- Zeichen der Zugehörigkeit,
- Rituale, die zusammenschweißen,
- Geschichten, Mythen, Legenden,
- Ansehen in der Öffentlichkeit.
Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelt sich vor allem durch gemeinsame Erlebnisse, durch erzielte Ergebnisse und die Gewissheit, Teil einer großartigen Gemeinschaft zu sein. Dies trägt der Mitarbeiter durch positive Erzählungen schließlich nach draußen. Sind die Verbindungen hingegen schwach, dann beginnen die Leute, sich eine attraktivere Kollegengruppe zu suchen – in einer besseren Wir-Organisation.
Der interne Touchpoint Manager: Bindeglied und Vernetzer
Die Arbeitswelt befindet sich in einem umfassenden Wandel. Sie ist agiler, adaptiver und auch vernetzter geworden. Das Entwickeln einer crossfunktional kooperativen Unternehmenskultur spielt deshalb eine zunehmend wichtige Rolle. Doch Silo-Strukturen und die darin üblichen Abgrenzungsstrategien stehen dem oft im Weg. Aus diesem Grund habe ich ein neues Berufsbild entwickelt: den internen Touchpoint Manager. Seine Funktion ist die eines interdisziplinären „Brückenbauers“.
Sein Terrain sich die internen Touchpoints, also die Interaktionspunkte zwischen Mitarbeitern, Management und Organisation. Sein Ziel ist es, inspirierende Leistungsbedingungen zu schaffen und im Rahmen eines wertschätzenden Klimas bereichsübergreifend ein Wir-Gefühl zu gestalten. Hierbei kann jede Interaktion als Chance genutzt werden, die Exzellenz der Mitarbeiter zu erhöhen, ihre emotionale Verbundenheit zur Firma zu stärken und positive Mundpropaganda auszulösen.
Der Aufgabenbereich eines internen Touchpoint Managers hat sowohl strategische als auch operative Komponenten. In Zeiten von Talente-Knappheit und Social Media-Gerede kann er über die Zukunft eines Unternehmens maßgeblich mitentscheiden. Insofern benötigt er die volle Unterstützung der Geschäftsleitung, da sein Weg holprig ist und er des Öfteren aneckt. Zwangsläufig und Gottseidank tauchen bei seiner Arbeit Missstände auf, die bislang verborgen blieben.
Employee Journeys: die „Reise“ der Mitarbeiter analysieren
Zunächst geht es um eine abteilungsübergreifende, umfassende Bestandsaufnahme aller relevanten internen Touchpoints und danach um das Dokumentieren der dortigen Ist-Situation. Alles wird konsequent durch die Brille des Mitarbeiters betrachtet. Dabei tritt auch die Emotionalität, die zwangsläufig mit einer Arbeit verbunden ist, offen zutage. Scheinbar sachliche Probleme haben ja häufig mit nicht verarbeiteten emotionalen Problemen zu tun. Eine neutrale dritte Person kann hier klärend wirken.
Wie beim Customer Touchpoint Management lassen sich auch intern entsprechende Journeys entwickeln. Die komplette „Reise“ eines Mitarbeiters durch sein Arbeitsverhältnis wird als Employee Journey bezeichnet. Man kann dies in die Phasen Kommen, Bleiben und Gehen unterteilen. Vor allem die drei folgenden Journeys verdienen eine eingehende Analyse. Hier gibt es in aller Regel viel zu verbessern:
- die Candidate Journey, also der Bewerbungsprozess aus Kandidatensicht,
- die Onboarding Journey, der Willkommens- und Einarbeitungsprozess,
- die Offboarding Journey, wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt.
Dabei gibt es eine mehr oder weniger große Zahl von Interaktionspunkten, an denen ein Mitarbeiter die unterschiedlichsten Dinge erlebt, die entweder enttäuschen oder zufriedenstellen oder begeistern. Hat man die Interaktionsmöglichkeiten daraufhin analysiert, lässt sich deren Zusammenspiel interdisziplinär optimieren.
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller, Alex T. Steffen
Die Orbit-Organisation
In 9 Schritten zum Unternehmensmodell
für die digitale Zukunft
Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, 34,90 Euro
ISBN: 978-3869368993
Mit dem Nutzen des Kommentarbereiches erklären Sie sich mit der Datenschutzerklärung einverstanden.