Es ist wieder soweit. Budgetierungsprozesse und Planungsexzesse, durch die für die nächsten Wochen die halbe Firma in Lähmung verfällt, sind wieder dran. Doch nicht nur die Marketingleute sind von der Zahlenseuche befallen, vor dem Kennziffernjoch ist niemand gefeit.
Selbst die Mitarbeiterperformance wird nun über Dashboards und Cockpits gesteuert, so als ob Menschen Maschinen wären, bei denen man die Anzahl der Umdrehungen misst. Bisweilen erscheint mir das wie ein Beschäftigungsprogramm für Sozialanalphabeten. Denn solange man mit der Vermessung des Menschen hantiert, muss man sich nicht mit Herz und Seele befassen.
Zahlen sagen niemals die Wahrheit
Ein Zuviel an Daten ist heute die Norm. Zahlenautismus ist eine bedrohliche Folgegefahr. „Es wird immer leichter, an Informationen zu gelangen, aber es wird immer schwieriger, in der wachsenden Flut der Informationen sicher zu navigieren“, schreibt Axel Gloger in seinem Buch Über_Morgen. Und Trendforscher Peter Wippermann warnt: „Big Data ist nicht nur eine technologische, sondern auch eine kulturelle Herausforderung. Denn Daten sind noch kein Wissen. Erst wenn die richtigen Fragen gestellt und die richtigen Verknüpfungen installiert werden, entstehen aus Daten vorteilhafte Erkenntnisse.“
Oft genug wird auch übersehen, dass das eigentlich Wichtige nicht in Zahlenkolonnen passiert, sondern an den Touchpoints zwischen Mitarbeitern, Unternehmen und Kunden. Die Krux dabei ist vor allem auch die: Zahlen sagen niemals die Wahrheit. Erstens können die Ergebnisse immer nur so gut sein wie das Ausgangsmaterial, „GIGO“ (Garbage In, Garbage Out) nennt man dieses Prinzip. Und zweitens sind Zahlen immer auch das Resultat von Abteilungszielen, persönlichen Interessen und eigennützigen Motivationen.
Dem Kennzahlenjoch kann niemand entkommen
Natürlich sind Kennzahlen wichtig. Und Messbarkeit hilft, die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch die Zahlenhörigkeit vieler Führungsgremien ist geradezu abstrus. Oft wird ganz fanatisch das Falsche getan, Hauptsache, es kann gemessen werden. Auch die Schwerpunkte sind vielfach irrig gesetzt. Meist liegen sie auf Quantität statt auf Qualität, auf harten statt auf weichen Faktoren und auf Kurzfristdenke statt Nachhaltigkeit. Doch wer lange Strecken laufen will, braucht geduldiges Geld.
Zudem bauen die Managementinformationssysteme eine Scheinwelt aus willkürlich festgelegten Quartalen auf, die in den abgeschirmten Zentren der Macht für die Realität gehalten wird. „Aber hier steht es doch schwarz auf weiß in unserem Businessplan“, rufen mir die Eliten zu, wenn ich an ihrem Zahlenwerk zweifle. „Wir rechnen mit einem Umsatzplus von 20 Prozent in den nächsten zwei Jahren.“
Unternehmenscoach Roswitha van der Markt bestätigt: „In vielen Beratungsgesprächen musste ich feststellen, dass Businesspläne als Garantien für Geschäftserfolg angesehen werden, anstatt als Vision einer zukünftig möglichen Entwicklung.“ So wird, eingelullt in Wunschdenken, Großmannstun und genehme Prognosen, nicht selten die Zukunft eines ganzen Unternehmens aufs Spiel gesetzt.
Zahlenfixiertheit rechnet sich nicht
Wenn man die Computer schon rechnen lässt, dann doch bitte auch einmal dies: Der Budgetprozess und die ganze Kontrolle, welchen Return on Investment bringt eigentlich das? Und die Opportunitätskosten, also all die Aufmerksamkeit, die man den Mitarbeitern und Kunden nicht schenken kann, während man in der Welt der Daten versinkt, wie hoch sind eigentlich die?
Schließlich kann man auch die ganz große Frage mal stellen: Wenn das Management ein Drittel aller Kosten im Unternehmen verursacht, die Hälfte der Zeit mit sich selbst beschäftigt ist und hauptsächlich Bürokratie produziert, auf wie viel summiert sich denn dies?
Systembetrug ist eine gängige Folgegefahr
Schauen wir zunächst auf die Zeitverschwendung, die aus der Präsenzpflicht beim Zahlenbegaffen erwächst. Auf Sitzungen und Konferenzen entrollt sich das immer gleiche Ritual: Als Erstes präsentiert die Geschäftsleitung Ergebnisziffern – auf Folien, die ab der dritten Reihe niemand mehr lesen kann. Egal! Sich mit sich selbst beschäftigen steht auf dem Programm.
Werden dann die Budgets für die Zukunft verkündet, überlegt sich jeder vor allem, welche (schmutzigen) Tricks wieder mal nötig sind, um die Planzahlen zu sichern. Und jeden Freitag ist dann Märchenstunde. Der Wochenbericht muss geschrieben werden. Am Ende honorieren die Unternehmen nicht maximale Machbarkeiten, sondern List, Lug und Trug. Das Schlimmste dabei: Jeder weiß von diesem gefährlichen Spiel, und alle machen es bedenkenlos mit.
Die größten Chancen liegen jenseits der Pläne
Planungssicherheit ist ein Widerspruch in sich. Was den Unternehmen heute im Markt begegnet, ist permanente Vorläufigkeit. Die einzige Gewissheit ist die, dass Plan und Wirklichkeit bereits am zweiten Tag des neuen Geschäftsjahrs auseinanderdriften. Und was macht ein braver Manager dann? Er folgt nicht der Wirklichkeit, sondern dem Plan. Das ist absurd!
Heutzutage können „Schwarze Schwäne“ (Nassim Nicholas Taleb), also höchst unwahrscheinliche Ereignisse, an jeder Ecke lauern. Dafür sollten Wenn-dann-Szenarien, flexible Ziele und Optionen für verschiedene Zukünfte auf Abruf in der Schublade liegen. Denn „Schwarze Schwäne“ warten nicht auf Budgetierungstermine. Und „Weiße Schwäne“ schon gar nicht. Ergo: Manager laufen besser den Kunden hinterher, statt ihrem Plan.
Weiterbildung Kundenmanagement: Ausbildung zum zertifizierten Customer Touchpoint Manager vom 11. bis 13. Dezember 2015 in München
Über die Zukunft eines Unternehmens entscheidet, was an den Touchpoints in den „Momenten der Wahrheit“ zwischen Anbieter und Kunde tatsächlich passiert. Deshalb müssten sich alle Unternehmensbereiche auf das Kundenwohl fokussieren. Doch Silodenke, Abteilungsegoismen, persönliche Eigeninteressen und das Gerangel um die Vorherrschaft in punkto Macht und Budgets verhindern dies oft.
Deshalb brauchen Unternehmen nicht nur ein Customer Touchpoint Management, sondern auch einen Customer Touchpoint Manager. Seine Kernaufgabe ist es, eine hundertprozentige Kundenorientierung zu ermöglichen und abteilungsübergreifend ein durchgängig positives, begeisterndes, verlässliches und vertrauensvolles Kundenerlebnis sicherzustellen.
Die dreitägige Ausbildung zum zertifizierten Customer Touchpoint Manager richtet sich vor allem an ambitionierte Mitarbeiter aus den Bereichen Marketing und Kundenservice, die im Kontext unserer neuen Businesswelt und mithilfe dieser Zusatzqualifikation die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Arbeitgeber sichern wollen.
Sie findet vom 11. bis 13. Dezember 2015 in München statt. Zu weiteren Informationen und zur Anmeldung geht’s hier: hier
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller: Touchpoints
Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute
Managementstrategien für unsere neue Businesswelt
Gabal, 6. Auflage, 350 S., 29,90 Euro
ISBN: 978-3-86936-330-1
Mittelstandsbuch des Jahres 2012
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