Dieser Blogbeitrag beleuchtet folgende Aspekte:
- Worüber weiter spekuliert wird und trotzdem geredet werden muss.
- Vom unterschiedlichen Umgang mit dem Thema Krankheit in den Unternehmen.
- Zeichen erkennen, bevor es „zu spät“ ist
- Was tun, wenn Ratlosigkeit bleibt? Hilfe gesucht …
- Welche Rolle spielen Ärzte in einer solchen Geschichte?
- Welche Antwort kann es in einem solchen Fall überhaupt geben?
Nach dem tragischen Flugzeugabsturz des am 24. März verunglückten Airbus A320-211 der Lufthansa-Tochter Germanwings, die sich auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf befand, kommen zwar Fakten zutage, es bleiben aber auch Fragen offen.
So betrifft das Thema nämlich auch Mechanismen der Arbeitswelt, wenn es beispielsweise um den nichtgemeldeten Krankenstatus beim Arbeitgeber geht. Ebenso stehen die Prüfmechanismen der Arbeitstauglichkeit bei der Fluggesellschaft in der öffentlichen Diskussion. Maßnahmen bezüglich der Schließmechanismen der Türen wurden teils hektisch bei den Airlines getroffen. Inzwischen wird bei der Deutschen Flugsicherung darüber gesprochen, dass man Flugzeuge in Notsituationen vom Boden aus fernsteuert. Dabei steht aber die Auswirkung sehr stark im Fokus und weniger die mögliche Ursache.
Hier geht es ausdrücklich nicht um das Ausschlachten eines Katastrophenthemas, sondern um die ernsthafte Beschäftigung mit Fragen, die sich viele Menschen aktuell weiterhin stellen. Sind die bestehenden Mechanismen in der Arbeitswelt ausreichend „gesund“? Könnten sie zu dem Ausmaß dieses Unglückes beigetragen haben. Was befördern sie und was behindern sie? Wie schafft man es, dass ein kranker Mensch nicht auf der Strecke bleibt und weder sich noch anderen schadet. Wie kann einem so tragischen Ereignis vielleicht künftig vorgebeugt werden, damit nicht noch mehr Menschen zu Schaden kommen?
Worüber weiter spekuliert wird und trotzdem geredet werden muss.
Der Co-Pilot Andreas L. hat trotz Krankschreibung seinen Dienst angetreten. Er sei depressiv gewesen, heißt es. Es sei eine gravierende psychische Störung gewesen, sagen andere. Warum blieb das in einem solchen Beruf, in dem man so viel Verantwortung trägt, soweit unberücksichtigt? Wie konnte das Ganze diese Tragweite annehmen? Es gab doch im Vorfeld bereits ausreichend An- bzw. Vorzeichen für eine psychische Instabilität. Gibt es zusätzliche Marker, offensichtliche „Hilferufe“, die dazu beitragen sollten, damit man künftig rechtzeitig einschreitet?
Eine Frage bleibt: Wie gehen Arbeitgeber überhaupt mit Ausfällen, Fehlzeiten und Anzeichen von psychischen Problemen angemessen um? Mit dem schrecklichen, wohl mit Absicht herbeigeführten Absturz, bleibt die Folge dieser Krankheit keine private Angelegenheit. Sie ist keine Sache mehr zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber – sie ist nun letztlich sogar zu einer öffentlichen geworden. Daher verdient sie auch eine allgemeine Betrachtung. Dies geschieht hier etwas losgelöst von diesem tragischen Einzelfall und betont den gesamtgesellschaftlichen Kontext, indem das Thema im Hinblick auf die herrschenden Praktiken der Arbeitswelt beleuchtet wird.
Vom unterschiedlichen Umgang mit dem Thema Krankheit in den Unternehmen
Wer krank ist krank! Wirklich? „Wenn Sie noch eine Krankmeldung bringen im nächsten halben Jahr, dann wird das nichts mit der Vertragsverlängerung!“ Ob es sich es um ein „notorischen Krankmelder handelt“ oder möglicherweise um ein Mobbing-Opfer: Quote ist und bleibt hier Quote. „Wir sind ja kein Wohlfahrtsinstitut, es geht hier um Leistung!“, so sehen es Firmen nicht selten. Da stehen Zahlen, Fakten und Statistiken im Mittelpunkt (wie auch immer die Ergebnisse zustande kommen). Und wo bleibt der Mensch? Da weiß man dann genau, warum die Personalabteilung HR heißt und der Begriff „menschliche Ressourcen“ seinen besonderen Beigeschmack bekommt. Aber so ist es natürlich nicht in jedem Unternehmen. Um ihre Mitarbeiter bemühte Personalabteilungen reagieren unter Umständen auch anders. Da werden die Führungskräfte angehalten zu klären, ob die Belastungen möglicherweise aus dem Arbeitsumfeld resultieren. Je nachdem, wie gravierend die Auswirkungen sind, wird hier auch mal – soweit vorhanden – der Betriebsarzt eingeschaltet. Liegt die Ursache der übermäßigen gesundheitlichen Belastung im privaten Bereich, so gibt es bei Firmen mit einer arbeitnehmerfreundlichen Struktur auch einen Sozialdienst. Hier wird Beratung und Unterstützung angeboten. Dies kann von einer vorübergehenden Arbeitszeitverkürzung im beiderseitigen Einvernehmen bis hin zur Förderung von therapeutischen Maßnahmen oder einer regelmäßigen Gesprächsberatung gehen. Das setzt natürlich die Kommunikationsbereitschaft und eine konstruktive Haltung beider Seiten voraus.
Zeichen erkennen, bevor es „zu spät“ ist
Psychische Belastungen sind nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch gesellschaftlich gesehen ein heikles Thema. Führungskräfte sind keine Psychologen. Egal wie gut sie grundsätzlich qualifiziert, zusätzlich geschult und aufgrund ihrer Person geeignet sind. Mit seinen Problemen geht der Betroffene nicht „hausieren“, vor allem wenn sie den Ansprüchen der auszuübenden Tätigkeit entgegenstehen oder durch diese gar noch verursacht werden. Es macht ihn zusätzlich angreifbar, kann seine aus den Fugen geratene Welt vielleicht sogar aus den Angeln heben. Wer nicht belastbar ist, ist nicht leistungsfähig … und bei der Arbeit geht es schließlich um Leistung. Sich stellen ist dann oft keine Option, sondern die Flucht vor sich selbst und der Sache scheint die Lösung. Depressive Menschen oder vom Burn-Out-Betroffene (oft gleichgesetzt) ziehen sich – sehr häufig auch aus Scham – zurück in ihre eigene Welt. Diese verselbständigt sich dann nicht selten unbemerkt vom Umfeld. Leiden scheint einfacher als lösen, gerade wenn niemand erkennt was wirklich los ist. Das führt in dem einen oder anderen Fall zum Zusammenbruch, aber nicht unbedingt zu einem Ereignis von dem schrecklichen Ausmaß. Und oft ist es dann auch die Wende und die Chance eines Neubeginns und eines gesundenden Prozesses.
Was tun, wenn Ratlosigkeit bleibt? Hilfe gesucht …
Hätte, könnte, wäre … Das alles scheint vielleicht immer noch wenig hilfreich, wenn man begreifen will, warum es gleichzeitig so viele Menschen traf und viele weitere trifft. Viele bleiben ratlos und verzweifelt zurück: nicht nur die Angehörigen der Opfer, die Kollegen, ein ganzer Ort, der um eine Schülergruppe trauert und sicher auch die Eltern des Unglückpiloten. Im Bereich der „Personenschäden“ im Bahnverkehr wurde das suizidale Verhalten von Überlebenden eingehend untersucht. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit spielt hier eine große Rolle. Die Tendenz zur „Bestrafung“ der Gesellschaft ist ebenso ein Faktor, wie der innere Aufschrei, der nun so „laut“ wie möglich nach außen getragen wird, damit der eigene Schmerz zum Kollektiven wird. Es führt hier zu weit, in die Pathologie eines solchen Verhaltens einzusteigen. Ganz wichtig ist die Betreuung durch Experten, wie sie zum Beispiel auch über Jahre nach dem Amoklauf an einer Schule in Winnenden im Jahre 2009 erfolgte.
Arbeitgeber müssen sich regelmäßig die Frage vor Augen führen, was sie tun können um zu entlasten, statt zu belasten, wenn ein Arbeitnehmer dem Druck nicht gewachsen ist. Wer diese Menschen einfach nur entlässt und sie ihrem Schicksal überlässt, lässt unter Umständen gleichzeitig auch seine eigenen Mitarbeiter, die Kollegen im Stich. Er nimmt seine Fürsorgepflicht als Arbeitgeber nicht nur in einem einzelnen und speziellen Fall, sondern in ganz vielen Fällen nicht wahr. Natürlich hilft alles nichts, wenn jemand sich nicht helfen lassen will. Wann man „von oben“ zum Schutze aller Beteiligten eingreift, muss man je nach Unternehmen und Branche der Sache angemessen festlegen und im Einzelfall erörtern. Auf jeden Fall sollte das Bewusstsein der Führungskräfte im Hinblick darauf geschärft werden. Der Handlungsspielraum und die positiven Möglichkeiten sollten nicht erst bekannt sein, wenn das Problem auftaucht oder es gar bereits „zu spät“ ist.
Welche Rolle spielen Ärzte in einer solchen Geschichte?
Ein Arzt ist in erster Linie da, um die Interessen seines Patienten zu schützen. Für die ärztliche Schweigepflicht gibt es viele gute Gründe. Manche Unternehmen versuchen bereits, in ihren Personalbögen bei der Einstellung eine Entbindung von der Schweigepflicht zu etablieren. Ein Arbeitsverhältnis beruht aber nicht nur auf einem Vertrag sondern auch immer auf Vertrauen darin, dass ein Arbeitnehmer nach bestem Wisse und Gewissen bereit ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Ab welchem Punkt soll offengelegt werden, was erst mal niemanden etwas angeht? Und wie groß ist das Ausmaß von möglichem Missbrauch, wenn dann auch mal persönliche Differenzen bestehen sollten? Die Frage ist, wie groß die Diskrepanz von Schaden und Nutzen ist, wenn man hieran rütteln wollte.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor sind Ärzte, die ihre Kompetenzen falsch einschätzen und ihren Behandlungs- und Therapieansatz für unfehlbar halten. Vielleicht sollte man für bestimmte Berufsgruppen mit entsprechender Sozialverantwortung eine zweite (unabhängige) Meinung zur Pflicht machen. Das ist sinnvoller, als wenn ein Hausarzt einfach entscheidet, dass es vielleicht besser seine könnte, „lieber etwas unter Menschen zu sein in der schweren Zeit“. Der gutgemeinte Ansatz kann hier bereits auch für den Arbeitnehmer mehr Schaden als Nutzen anrichten. Er bewegt sich nämlich nicht mehr im Bereich der von ihm erwarten Leistungsfähigkeit. Unter Umständen setzt er sich zusätzlich unter Druck, da sich die Erwartungshaltung an das Arbeitspensum und die zu erbringemde Qualität sich ja nicht ändert. Ein Arbeitspatz ist keine Erholungsstätte und kein Therapieplatz. Man kann im Grunde dann nur noch hoffen, dass hier rechtzeitig gesunde Sozialstrukturen greifen oder muss diese vorausschauend schaffen und etablieren.
Welche Antwort kann es in einem solchen Fall überhaupt geben?
Was es auch ist: sei es ein spezielles Problem, eine Erschöpfung, ein Burnout / eine Depression. Die richtige Lösung sollte her! Auch, damit es nicht noch einmal zu solchen tragischen Ausmaßen kommt. Der Gefährlichkeit und der Tragweite solcher Krankheiten sollte man mit viel Sensibilität, Fachwissen und äußerster Professionalität und einem Interesse an sozialverträglichen Lösungen begegnen. Das derzeitige Bestreben, eine Antwort in Form einer möglichst einfachen „Schuldzuweisung“ aufgrund des Absturzes der Germanwings-Maschine gelingt wohl nicht. Die Versuche, angesichts der zu beklagenden Opfern den einen schrecklichen Täter und den Schuldigen dingfest zu machen und zu präsentieren schlugen fehl. Es gilt dabei nämlich zusätzlich noch einen Gedanken zu formulieren, der die Sache nicht weniger traurig macht, aber ein anderes Licht auf die Dimension solcher Krankheiten wirft: Für den Todespiloten war vielleicht die ganze Welt empfundenermaßen bereits für alle so dunkel (geworden), dass er es möglicherweise auch für die Insassen als „Erlösung“ sah, sie zu verlassen. (GJ)
Sehr schön formuliert und beleuchtet. ☼ 🙂
Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, wie schädlich das Aushalten eines psychisch schlechten Umfelds ist. Über seine eigene Grenzen zu gehen (egal aus welch löblichen Gründen dies geschieht) ist immer eine Gefahr für sich selbst UND FÜR DIE UMWELT. Ich hatte meine aggressiven Vorstellungen gegenüber den Schuldigen selbst-ironisch als belustigende Tagträume ignoriert bis sie zu aggressiven Impulsen wurden, die nur sehr schwer zu unterdrücken waren und Unschuldige getroffen hätten. Ich bekam Angst vor mir selbst und war nahe an einer (durch Ignoranz selbst-mit-verschuldeten) Persönlichkeitsstörung. Am Ende nützt es niemandem, dass man über seine eigenen Grenzen ging und am Ende sieht auch keiner die löblichen Gründe.
– … –
Offen mit meinem Arzt zu sprechen hat mir geholfen. Wenn auch eine Kur abgelehnt wurde, so konnte ich wenigstens „aus gesundheitlichen Gründen“ kündigen und musste dank des Arzt-Attestes keine Geldsperre der Arbeitsagentur befürchten. So gestärkt fand ich sogar binnen der Kündigungsfrist eine neue Stelle. Meine Umwelt blieb verschont und weiß bis heute nicht, welcher Gefahr sie ausgesetzt war.
Ich kann der Welt nur wünschen, sich dem Thema anzunehmen.